Ist ein vermeintlich freier Mitarbeiter tatsächlich als Arbeitnehmer einzustufen, hat dieser alle Arbeitnehmerrechte. Dazu gehört insbesondere der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Im Fall der Scheinselbstständigkeit verfällt der Urlaubsanspruch auch nicht.
Hintergrund
Ein Mann in Großbritannien war 13 Jahre lang mit einem “Selbstständigen-Vertrag” auf Provisionsbasis für eine Firma tätig. Die Urlaubszeit wurde nicht bezahlt. Mit dem Ende seiner Tätigkeit forderte der Mann von der Firma eine Bezahlung für den genommenen und auch für den nicht genommenen Urlaub der vergangenen 13 Jahre. Das britische Arbeitsgericht stellte im Nachhinein die Arbeitnehmereigenschaft des Mannes fest. Damit hatte er grundsätzlich Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gehabt.
Fraglich war zum einen, ob der Mann seinen Urlaub erst hätte nehmen müssen, um feststellen zu lassen, ob er Anspruch auf Bezahlung hat, und zum anderen, ob seine Urlaubsansprüche möglicherweise mittlerweile verfallen waren. Deshalb rief das britische Gericht den Europäischen Gerichtshof an.
Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Ansprüche des Mannes auf bezahlten Urlaub nicht verfallen sind. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer ermöglichen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben. Besteht diese Möglichkeit nicht, kann der Arbeitnehmer nicht ausgeübte Urlaubsansprüche übertragen und ansammeln.
Im Fall der Scheinselbstständigkeit eines Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber nicht durch eine Begrenzung der Ansprüche geschützt werden. Vielmehr hat ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit gibt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die entsprechenden finanziellen Folgen zu tragen.
Das Unionsrecht verbietet es, dass der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat. Dies ist weder mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf noch mit der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar. Der bezahlte Jahresurlaub ist ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union. Dessen Sinn und Zweck ist die Erholung des Arbeitnehmers. Die Unsicherheit darüber, ob der Urlaub bezahlt wird, ist aber durchaus ein Grund, diesen eben nicht zu nehmen, betonte der Europäische Gerichtshof.