Bei ursprünglichem Fehlen der Geschäftsgrundlage kann die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung ausnahmsweise entfallen. Das gilt auch beim nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Hintergrund
Die Eheleute waren an einer GmbH beteiligt. In 2003 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und nach der Schlussverteilung in 2007 eingestellt. Das Finanzamt ließ den von den Eheleuten für 2002 bis 2008 geltend gemachten Veräußerungs-/Auflösungsverlust unberücksichtigt. Dagegen legten die Eheleute Einspruch ein. In 2009 nahm der damalige Steuerberater der Eheleute die Einsprüche zurück. In 2010 erhoben die Eheleute Untätigkeitsklage für 2004 und hilfsweise für 2007. Sie beantragten die Berücksichtigung eines Auflösungsverlusts (rund 1 Mio. EUR). Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens (Streitjahr 2007) trafen die Eheleute und das Finanzamt eine tatsächliche Verständigung mit dem Inhalt, dass der Verlust in 2005 entstanden ist. Anlässlich der Umsetzung der tatsächlichen Verständigung stellte das Finanzamt jedoch fest, dass der Einkommensteuer-Bescheid 2005 wegen Zurücknahme des Einspruchs nicht mehr änderbar war. Daraufhin entgegneten die Eheleute, dass die tatsächliche Verständigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufzuheben und der Auflösungsverlust in 2007 zu berücksichtigen ist. Denn bei der tatsächlichen Verständigung hätten alle Beteiligten angenommen, dass die Einkommensteuer-Festsetzung 2005 noch änderbar ist.
Das Finanzgericht wies die Klage jedoch ab.
Entscheidung
Vor dem Bundesfinanzhof hatten die Eheleute dagegen Erfolg.
Die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung kann ausnahmsweise nachträglich entfallen, wenn einem Beteiligten nach den Grundsätzen vom Fehlen oder Wegfallen der Geschäftsgrundlage ein Festhalten an dem Vereinbarten nicht zuzumuten ist. Das ist der Fall, wenn wesentliche tatsächliche oder rechtliche Umstände, deren Bestand die Parteien als gemeinsame Grundlage der Verständigung angenommen und vorausgesetzt haben, von vornherein gefehlt haben oder nach Abschluss der Verständigung weggefallen sind.
Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs mit der Rücktrittserklärung der Eheleute die Bindungswirkung entfallen. Der gemeinsame Geschäftswille beider Parteien war auf die Änderbarkeit der Einkommensteuer-Festsetzung 2005 gerichtet. Die vereinbarte Prüfung der Unterlagen zur Verlustberücksichtigung in 2005 war nur sinnvoll, wenn auch das Finanzamt davon ausging, dass die Einkommensteuer-Festsetzung 2005 verfahrensrechtlich noch geändert werden konnte. Unerheblich ist, ob dieser Irrtum auf einem Verschulden der Eheleute beruhte. Die Fehlvorstellung kann nicht allein dem Verantwortungsbereich des benachteiligten Beteiligten zugewiesen werden, wenn beide Parteien dieser unterlagen.