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Wann ein Aufrechnungsverbot bei Insolvenz besteht

Für das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot kommt es nicht auf den Besitz der Rechnung an. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht mit dem Leistungsbezug. Das gilt auch dann, wenn der Anspruch auf Vorsteuerabzug auf einem Verzicht auf die Steuerfreiheit beruht.

Hintergrund

Über das Vermögen der X-GmbH wurde im Juni 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Betriebsanlagen waren ihr von der Y-KG überlassen worden. Im Juli 2011 stellte die KG dem Insolvenzverwalter V eine Rechnung aus. Mit dieser rechnete sie erstmals über die gegenüber der GmbH erbrachten Pachtleistungen für Januar 2006 bis Februar 2009 ab. Die Rechnungen wiesen Umsatzsteuern aus und wurden V im August 2011 übergeben.

Das Finanzamt änderte daraufhin im Dezember 2012 die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2011, sodass diese zugunsten des V einen Überschuss auswiesen. Dieses Guthaben verrechnete das Finanzamt mit offenen Steuerforderungen der GmbH aus den Jahren 2006 bis 2008. Im Mai 2013 setzte das Finanzamt für 2011 die Umsatzsteuer fest. Ein Vergütungsbetrag ergab sich wegen der erfolgten Verrechnung nicht. V beantragte im Dezember 2014 die Auszahlung des Guthabens aus dem Bescheid vom Mai 2013. Das Finanzamt lehnte dies ab.

Das Finanzgericht hielt die Aufrechnung wegen des Aufrechnungsverbots für unzulässig und entschied zugunsten des klagenden V.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hob dagegen das Finanzgerichtsurteil auf und wies die Klage des V ab.

Die Aufrechnung ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Entscheidend ist, ob der Tatbestand, der den Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften vor oder nach der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Ausschlaggebend dafür ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs bereits erfüllt waren.

Entgegen der vom Finanzgericht vertretenen Auffassung kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung des Vorsteuer-Erstattungsanspruchs nicht auf den Besitz der Rechnung an. Das Recht auf den Vorsteuerabzug entsteht vielmehr materiell-rechtlich unabhängig vom Besitz der Rechnung im Zeitpunkt des Leistungsbezugs, auch wenn die Ausübung des Vorsteuerabzugs den Besitz einer Rechnung voraussetzt. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Dieser Zeitpunkt lag für die Pachtleistungen (Januar 2006 bis Februar 2009) vor der Insolvenzeröffnung (Juni 2009). Das hat zur Folge, dass das Aufrechnungsverbot nicht greift.

Auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs ist auch dann abzustellen, wenn der Anspruch auf Vorsteuerabzug auf einem Verzicht auf die Steuerfreiheit beruht. Denn der Verzicht wirkt für die Entstehung des Vorsteueranspruchs auf den Veranlagungszeitraum zurück, in dem der Umsatz ausgeführt wurde. V hat erst im August 2011 eine Rechnung mit Umsatzsteuer-Ausweis für die von der KG erbrachten Pachtleistungen erhalten. Mit dieser Rechnung hat die KG die Pachtleistungen als steuerpflichtige Umsätze behandelt und damit auf die Steuerfreiheit verzichtet. Der Verzicht bewirkte rückwirkend die Steuerpflicht. Auch wenn V seinen Vorsteueranspruch erst mit dem Erhalt der Rechnung geltend machen konnte, ändert das nichts daran, dass das Recht zum Vorsteuerabzug bereits zum Zeitpunkt der jeweiligen Pachtleistung entstanden ist, also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.