Zulässigkeit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen auf Einkommensteuervorauszahlungen

Wann die Festsetzungsfrist für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen auf hinterzogene Steuervorauszahlungen beginnt, ist weder ausdrücklich gesetzlich geregelt noch höchstrichterlich geklärt. Das gilt auch für die Frage, nach welchen Maßstäben der Zinslauf zu berechnen ist. Nun hat aber der Bundesfinanzhof die Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.

Hintergrund

Die Kläger erstatteten Ende 2014 Selbstanzeige. Mit dieser erklärten sie bisher nicht versteuerte Kapitalerträge aus einer Geldanlage in Liechtenstein für die Jahre 2003 bis 2013 nach. Das Finanzamt änderte daraufhin die Einkommensteuer-Bescheide für diese Veranlagungszeiträume. Darüber hinaus setzte es Hinterziehungszinsen auf hinterzogene Einkommensteuer-Vorauszahlungen einschließlich Solidaritätszuschlag für die Jahre ab 2004 fest. Dazu ergänzte es die ursprünglich den Vorauszahlungen zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen um jene, die zum Festsetzungszeitpunkt dem Finanzamt hätten offenbart werden müssen.

Der Einspruch gegen die Festsetzung der Hinterziehungszinsen auf die Vorauszahlungen hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Das Finanzgericht wies die Klage überwiegend als unbegründet ab. Zur Begründung führten die Richter aus: Die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen auf hinterzogene Einkommensteuer-Vorauszahlungen beginnt mit Ablauf des Tages, an dem letztmals geänderte Vorauszahlungsbescheide hätten erlassen werden können. Für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen auf hinterzogene Vorauszahlungen ist nicht erforderlich, dass die hinterzogene Steuer zuvor festgesetzt wurde. Die hinterzogene Steuer berechnet sich aus der Differenz zwischen den tatsächlich festgesetzten Vorauszahlungen und den Vorauszahlungen, die bei stets pflichtgemäßen und wahrheitsgemäßen Angaben festgesetzt worden wären.

Der Zinslauf der Hinterziehungszinsen auf Einkommensteuer-Vorauszahlungen beginnt zum Zeitpunkt der Fälligkeit bzw. in Fällen, in denen eine nachträgliche Festsetzung oder Anpassung von Vorauszahlungen erfolgte, zum Zeitpunkt der Festsetzung. Der Zinslauf ist auf den Zeitraum bis zum Beginn der Vollverzinsung der Jahressteuer zu begrenzen.

Keine Berücksichtigung von Vorerwerben aufgrund von Schenkungen

Veräußert ein Steuerpflichtiger sowohl Anteile, die er im Wege der Erbfolge erworben hat, als auch Anteile, die nicht im Wege der Erbfolge erworben wurden, muss der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn aufgeteilt werden. Begünstigt ist der Veräußerungsgewinn nur insoweit, als er sich aus der Veräußerung der mit Erbschaftsteuer belasteten Anteile ergibt.

Hintergrund

X und sein Vater gründeten im Jahr 2008 eine GmbH, in die der Vater sein Einzelunternehmen einbrachte. X war zu 49 % und sein Vater zu 51 % beteiligt. Aufgrund des persönlichen Freibetrags des X fiel für ihn keine Schenkungsteuer an. Nachdem der Vater im Jahr 2009 gestorben war, erwarb X durch Vermächtnisse die restlichen Anteile. 2011 veräußerte er sämtliche Geschäftsanteile und erzielte einen Veräußerungsgewinn. Das Finanzamt setzte daraufhin Erbschaftsteuer fest, gewährte bei der Einkommensteuer-Festsetzung für 2011 die Steuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer nach § 35b EStG nicht in der von X beantragten Höhe.

Das Finanzgericht ging davon aus, dass nur Vermögensteile begünstigt waren, die als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlagen. Nicht begünstigt waren dagegen Vorerwerbe durch Schenkung. Es kam daher nur eine anteilige Ermäßigung in Betracht.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof entschied, dass entgegen der Auffassung des Finanzgerichts der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG abgezogen werden kann. § 35b EStG erfasst Fälle, in denen der von Todes wegen hinzu erworbene Vermögensgegenstand – z. B. nach einer steuerpflichtigen Veräußerung – mit seinem Wert zusätzlich der Einkommensteuer unterworfen ist. Nicht begünstigt sind dagegen solche Einkünfte, die sich aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen ergeben, die einer Vorbelastung mit Schenkungsteuer unterlegen haben.

Werden sowohl Anteile veräußert, die im Wege der Erbfolge erworben worden sind, als auch Anteile, die nicht im Wege der Erbfolge erworben wurden, muss der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn aufgeteilt werden. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts kann dann der persönliche Freibetrag in Abzug gebracht werden.

Sind in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer sowohl begünstigte als auch nicht begünstigte Einkünfte eingegangen, ist der persönliche Freibetrag im Verhältnis der Einkünfte zueinander aufzuteilen und anteilig bei den jeweiligen Einkünften abzuziehen.

Die auf die begünstigten Einkünfte anteilig entfallende Einkommensteuer ist nach dem Verhältnis der begünstigten Einkünfte zur Summe der Einkünfte zu ermitteln. Um die Einkommensteuer auf die begünstigten Einkünfte zu berechnen, ist daher der Betrag der um die sonstigen Steuerermäßigungen gekürzten tariflichen Einkommensteuer mit dem Quotienten aus dem Betrag der begünstigten Einkünfte und dem Betrag der Summe der Einkünfte zu multiplizieren.

Da in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer sowohl begünstigte als auch nicht begünstigte Einkünfte eingegangen sind und der persönliche Freibetrag deshalb verhältnismäßig aufgeteilt worden ist, ist nur der anteilige Freibetrag hinzuzurechnen.

Der Ermäßigungsprozentsatz ermittelt sich dann durch Gegenüberstellung der anteilig auf die von Todes wegen erworbenen Vermögensteile entfallende Erbschaftsteuer und dem Betrag, der sich ergibt, wenn dem anteiligen steuerpflichtigen Erwerb der anteilige Freibetrag hinzugerechnet wird.

Warum gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnungen verfassungsgemäß sind

Der Bundesfinanzhof hält die unterschiedliche gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen für bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens und von Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten für verfassungsgemäß.

Hintergrund

Die Hotelgesellschaft H erwirtschaftete 2008 handelsrechtliche und körperschaftsteuerliche Verluste. Aufwendungen entstanden für Schuldzinsen, für Miet- bzw. Pachtzinsen für bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter und für Lizenzgebühren. Dies führte zu gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnungen und zu einem positiven Gewerbeertrag. Das Finanzamt setzte den Gewerbesteuer-Messbetrag entsprechend fest. Die Hinzurechnungen wirkten sich ebenso auf die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2008 aus. H wandte sich mit der Klage gegen die Hinzurechnungen der Miet- und Pachtzinsen und der Lizenzgebühren. Das Finanzgericht wies die Klage jedoch ab.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Hinzurechnungen. Die Begründung: Die Korrekturen des Gewinns um Hinzurechnungen und Kürzungen sind Folge des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Das objektive Nettoprinzip und der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit treten insoweit zurück. Die Besonderheit als Objektsteuer kann dazu führen, dass ertraglose Betriebe belastet werden, indem Gewerbesteuer allein durch Hinzurechnungen ausgelöst wird. Auch eine mögliche Substanzbesteuerung liegt in der Natur einer Objektsteuer. Diese Belastungen sind hinzunehmen und verstoßen nicht gegen das Grundgesetz.

Bei der Auswahl des Steuergegenstands steht dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum zu. Allerdings könnte es sich bei den Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften um Differenzierungen innerhalb des Steuergegenstands handeln, was eine engere Bindung des Gesetzgebers an sachliche Erwägungen, insbesondere der Folgerichtigkeit und Belastbarkeit, zur Folge haben könnte. Aber auch dann besteht für den Gesetzgeber keine strenge Folgerichtigkeitskontrolle. Vielmehr genügt es, wenn sich die Hinzurechnungsvorschriften folgerichtig in das Konzept einer ertragsorientierten Objektsteuer einfügen lassen. Die der Höhe nach unterschiedliche Hinzurechnung von Miet-/Pachtzinsen für bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens oder für die befristete Überlassung von Rechten muss daher nicht einem strikten Folgerichtigkeitsmaßstab genügen. Der Gesetzgeber ist nicht dazu gezwungen, die Hinzurechnungstatbestände an einem typischen, realitätsgerechten Zinsniveau auszurichten.

Keine Kostendeckelung bei der 1 %-Regelung

Die nach der 1 %-Regelung ermittelte Nutzungsentnahme muss nicht auf 50 % der Gesamtaufwendungen für einen privat genutzten, betrieblichen Pkw begrenzt werden. Der Bundesfinanzhof sieht insoweit keine verfassungsrechtlich gebotene Notwendigkeit.

Hintergrund

Der Immobilienmakler X hielt im Betriebsvermögen einen gebraucht erworbenen Pkw, den er auch privat nutzte. Der Kaufpreis lag deutlich unter dem Listenpreis von 64.000 EUR einschließlich Umsatzsteuer. X ermittelte die Gesamtkosten mit rund 11.000 EUR und setzte 50 % dieser Kosten (5.500 EUR) für die private Nutzung an. Ein Fahrtenbuch führte er nicht.

Das Finanzamt berechnete den Wert der Nutzungsentnahme nach der 1 %-Regelung mit 7.680 EUR (1 % x 64.000 EUR x 12 Monate) und erhöhte den Gewinn entsprechend. Mit seiner Klage beantragte X, die Nutzungsentnahme auf maximal 50 % der Gesamtkosten zu begrenzen. Das Finanzgericht wies die Klage zurück.

Entscheidung

Auch vor dem Bundesfinanzhof hatte X keinen Erfolg, seine Revision wurde zurückgewiesen. In seiner Urteilsbegründung bestätigte der Bundesfinanzhof sowohl die Anknüpfung der 1 %-Regelung an den Listenpreis als auch die Bewertung des Nutzungsvorteils mit dem 1 %-Wert. Es handelt sich für beide Bewertungen um eine zwingende, stark typisierende und pauschalierende Regelung, die nur durch das Führen eines Fahrtenbuchs umgangen werden kann. Deshalb bleiben individuelle Besonderheiten hinsichtlich der Art der Nutzung des Kfz ebenso unberücksichtigt wie nachträgliche Änderungen des Fahrzeugwerts. Dementsprechend ist der inländische Listenpreis auch dann maßgeblich, wenn das Fahrzeug gebraucht angeschafft oder ein Großteil der Anschaffungskosten bereits als Betriebsausgaben geltend gemacht wurde.

Diese Typisierung überschreitet nicht die Grenzen des Zulässigen. Denn zum einen betrifft sie einen Bereich, in dem wegen der engen Verknüpfung zwischen privater und betrieblicher Sphäre einzelfallbezogene Ermittlungen der Finanzverwaltung nahezu ausgeschlossen sind. Zum anderen ist die 1 %-Regelung nicht als zwingende und unwiderlegbare Typisierung konzipiert, da sie durch den Nachweis des tatsächlichen Sachverhalts mittels eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs vermieden werden kann.

Entgegen der Meinung des X ist die Nutzungsentnahme auch nicht auf 50 % der Gesamtkosten zu begrenzen. In Fällen, in denen der pauschale Nutzungswert die gesamten Kfz-Aufwendungen übersteigt, ist die zu versteuernde Nutzungsentnahme auf die Gesamtaufwendungen zu beschränken. Deshalb hat der Bundesfinanzhof keine Bedenken im Hinblick auf eine Übermaßbesteuerung.

Besteuerung einer Abfindung für Grenzgänger bei Wegzug

Zieht ein Grenzgänger ins Ausland um, unterliegt eine an ihn gezahlte Abfindung während eines bestehenden Dienstverhältnisses zumindest teilweise der inländischen Steuerpflicht. Grundlage für die Ermittlung des steuerpflichtigen Anteils sind die in Deutschland steuerpflichtigen Arbeitstage.

Hintergrund

Der Kläger hatte bis Ende November 2008 seinen Wohnsitz in Deutschland. Dann verzog er nach Frankreich und arbeitete weiterhin bei seinem inländischen Arbeitgeber. Seinen laufenden Arbeitslohn versteuerte der Kläger als Grenzgänger in Frankreich. Das Arbeitsverhältnis endete mit Aufhebungsvertrag zum 30.9.2014, woraufhin der Kläger eine einmalige Abfindung erhielt. Seit Oktober 2014 steht er in einem neuen Beschäftigungsverhältnis und auch diesen Arbeitslohn versteuert er als Grenzgänger in Frankreich.

Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Abfindung teilweise dem Lohnsteuerabzug unterlag, und zwar zu 260/330. Der Kläger war nämlich an 330 Monaten beim früheren Arbeitgeber beschäftigt und hatte davon an 260 Monaten seinen Wohnsitz im Inland gehabt. Der Kläger war dagegen der Ansicht, dass diese im Inland steuerfrei war.

Entscheidung

Das Finanzgericht folgte der Argumentation des Finanzamts und entschied, dass die Abfindung anteilig steuerpflichtig war, und zwar soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlagen. Der Mitarbeiter war während des Beschäftigungsverhältnisses über einen Zeitraum von 260 Monaten im Inland wohnhaft. Zumindest insoweit unterlag deshalb die Abfindung der inländischen Besteuerung. Die sog. Grenzgängerregelung kam lediglich für eine laufende, aktive Tätigkeit zur Anwendung. Die Abfindung bezog sich jedoch auf eine vergangene Tätigkeit.

Splittingtarif bei gleichgeschlechtlichen Ehepaaren kann rückwirkend angewendet werden

Gleichgeschlechtliche Ehepaare können rückwirkend vom Splittingtarif profitieren. Zu diesem Ergebnis kommt das Finanzgericht Hamburg in einem aktuellen Urteil.

Hintergrund

Die Ehepartner hatten im Jahr 2001 eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet, die sie nach Inkrafttreten des Eheöffnungsgesetzes im November 2017 in eine Ehe umwandelten. Die Kläger beantragten die Zusammenveranlagung nachträglich für alle Jahre seit Beginn ihrer Lebenspartnerschaft.

Entscheidung

Das Finanzgericht entschied zugunsten der Kläger, dass entsprechend dem Eheöffnungsgesetz nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe für die Rechte und Pflichten der Lebenspartner der Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft maßgebend ist. Die Lebenspartner sind damit so zu stellen, als ob sie am Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geheiratet hätten.

Das Eheöffnungsgesetz stellt ein rückwirkendes Ereignis dar, sodass eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide ab 2001 möglich und gerechtfertigt ist.

Wann ein Aufrechnungsverbot bei Insolvenz besteht

Für das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot kommt es nicht auf den Besitz der Rechnung an. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht mit dem Leistungsbezug. Das gilt auch dann, wenn der Anspruch auf Vorsteuerabzug auf einem Verzicht auf die Steuerfreiheit beruht.

Hintergrund

Über das Vermögen der X-GmbH wurde im Juni 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Betriebsanlagen waren ihr von der Y-KG überlassen worden. Im Juli 2011 stellte die KG dem Insolvenzverwalter V eine Rechnung aus. Mit dieser rechnete sie erstmals über die gegenüber der GmbH erbrachten Pachtleistungen für Januar 2006 bis Februar 2009 ab. Die Rechnungen wiesen Umsatzsteuern aus und wurden V im August 2011 übergeben.

Das Finanzamt änderte daraufhin im Dezember 2012 die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2011, sodass diese zugunsten des V einen Überschuss auswiesen. Dieses Guthaben verrechnete das Finanzamt mit offenen Steuerforderungen der GmbH aus den Jahren 2006 bis 2008. Im Mai 2013 setzte das Finanzamt für 2011 die Umsatzsteuer fest. Ein Vergütungsbetrag ergab sich wegen der erfolgten Verrechnung nicht. V beantragte im Dezember 2014 die Auszahlung des Guthabens aus dem Bescheid vom Mai 2013. Das Finanzamt lehnte dies ab.

Das Finanzgericht hielt die Aufrechnung wegen des Aufrechnungsverbots für unzulässig und entschied zugunsten des klagenden V.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hob dagegen das Finanzgerichtsurteil auf und wies die Klage des V ab.

Die Aufrechnung ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Entscheidend ist, ob der Tatbestand, der den Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften vor oder nach der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Ausschlaggebend dafür ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs bereits erfüllt waren.

Entgegen der vom Finanzgericht vertretenen Auffassung kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung des Vorsteuer-Erstattungsanspruchs nicht auf den Besitz der Rechnung an. Das Recht auf den Vorsteuerabzug entsteht vielmehr materiell-rechtlich unabhängig vom Besitz der Rechnung im Zeitpunkt des Leistungsbezugs, auch wenn die Ausübung des Vorsteuerabzugs den Besitz einer Rechnung voraussetzt. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Dieser Zeitpunkt lag für die Pachtleistungen (Januar 2006 bis Februar 2009) vor der Insolvenzeröffnung (Juni 2009). Das hat zur Folge, dass das Aufrechnungsverbot nicht greift.

Auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs ist auch dann abzustellen, wenn der Anspruch auf Vorsteuerabzug auf einem Verzicht auf die Steuerfreiheit beruht. Denn der Verzicht wirkt für die Entstehung des Vorsteueranspruchs auf den Veranlagungszeitraum zurück, in dem der Umsatz ausgeführt wurde. V hat erst im August 2011 eine Rechnung mit Umsatzsteuer-Ausweis für die von der KG erbrachten Pachtleistungen erhalten. Mit dieser Rechnung hat die KG die Pachtleistungen als steuerpflichtige Umsätze behandelt und damit auf die Steuerfreiheit verzichtet. Der Verzicht bewirkte rückwirkend die Steuerpflicht. Auch wenn V seinen Vorsteueranspruch erst mit dem Erhalt der Rechnung geltend machen konnte, ändert das nichts daran, dass das Recht zum Vorsteuerabzug bereits zum Zeitpunkt der jeweiligen Pachtleistung entstanden ist, also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Berücksichtigung von Versandkosten bei 44-EUR-Freigrenze für Sachbezüge

Für Sachprämien des Arbeitgebers gilt die 44-EUR-Freigrenze. Liefert der Arbeitgeber diese nun in die Wohnung des Arbeitnehmers, liegt eine zusätzliche Leistung vor. Deren Wert muss in die Berechnung der Freigrenze mit einbezogen werden.

Hintergrund

Die Arbeitgeberin A gewährte ihren Mitarbeitern unter bestimmten Voraussetzungen Sachprämien, die über die Firma X bezogen werden konnten. Jeder bezugsberechtigte Mitarbeiter konnte aus der Angebotspalette der X einen Sachbezug auswählen. Anschließend bestellte A die Ware bei X. Daraufhin stellte X der A die Sachbezüge mit 43,99 EUR zuzüglich einer Versand- und Handlingspauschale von 6 EUR in Rechnung. Nach Bezahlung der Rechnung versandte X die Ware an den jeweiligen Mitarbeiter oder händigte die Waren der A zur Verteilung im Betrieb aus.

Das Finanzamt rechnete die Versand- und Handlingspauschale dem Wert der Sachzuwendungen hinzu. Wegen Überschreitung der 44-EUR-Freigrenze erließ es einen entsprechenden Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid. Die Klage der A gegen diesen Bescheid hatte vor dem Finanzgericht keinen Erfolg.

Entscheidung

Der Wert des vom Arbeitnehmer erlangten Sachvorteils ist mit dem um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreis am Abgabeort anzusetzen. Vergleichspreis ist der günstigste Einzelhandelspreis am Markt, da der Letztverbraucher regelmäßig das günstigste Angebot annehmen wird. Markt in diesem Sinne sind alle gewerblichen Anbieter, von denen die konkrete Ware gewöhnlich bezogen werden kann, also der Einzelhandel.

Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Liefer- und Versandkosten nicht zu diesem Endpreis gehören. Es handelt sich dabei nämlich nicht um die Gegenleistung des Letztverbrauchers für die Ware. Liefert der Arbeitgeber die Ware in die Wohnung des Arbeitnehmers, liegt eine zusätzliche Leistung vor. Diese erhöht aber nicht den Warenwert, sondern ist als weiterer Sachbezug gesondert zu bewerten. Ist der Versand als eigenständige Leistung ausgewiesen, tritt der geldwerte Vorteil aus der Lieferung “nach Hause” bei der Berechnung der Freigrenze zum Warenwert hinzu.

Der Bundesfinanzhof konnte jedoch nicht entscheiden, sondern verwies den Fall an das Finanzgericht zur weiteren Sachaufklärung zurück. Nicht klar ist, ob sich das Finanzamt am niedrigsten Endverbraucherpreis orientiert hat. Denn es ging von den Beträgen aus, die der A von X in Rechnung gestellt wurden (43,99 EUR plus Versandkosten). Das Geschäftsmodell der X lässt jedoch vermuten, dass der Rechnungsbetrag nicht den Einzelhandelspreis abbildete. Denn bei der Verschiedenheit der zugewandten Prämien ist es kaum wahrscheinlich, dass der stets in gleicher Höhe abgerechnete Betrag von 43,99 EUR den jeweiligen Marktpreis darstellte.

Wahl der degressiven Gebäude-AfA bindend

Wer die degressiven Gebäude-AfA in Anspruch genommen hat, kann nicht zur AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer des Gebäudes wechseln.

Hintergrund

A ist Eigentümerin eines bebauten Grundstücks, das sie seit Fertigstellung des Gebäudes in 1994 an ihren Ehemann vermietete. Für 1994 bis 2008 nahm A degressive AfA auf die Gebäudeherstellungskosten in Anspruch. In 2009 errichtete sie einen Anbau an das bestehende Gebäude und machte geltend, dass die Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes nicht 50, sondern nur 25 Jahre betrug. Den noch nicht abgeschriebenen Gebäuderestwert wollte sie um die in 2009 angefallenen Herstellungskosten erhöhen und auf die restlichen 10 Jahre gleichmäßig verteilen. Das Finanzamt berücksichtigte jedoch nur eine AfA von 1,25 % der um die nachträglichen Herstellungskosten erhöhten ursprünglichen Bemessungsgrundlage.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof entschied, dass der Steuerpflichtige an die einmal getroffene Wahl für die degressive AfA grundsätzlich gebunden ist. Der spätere Wechsel zu einer anderen AfA-Methode ist damit prinzipiell ausgeschlossen. Deshalb ist der Wechsel von der degressiven AfA zu der normalen linearen Gebäude-AfA nicht möglich.

Die Frage, ob ein Wechsel von der degressiven AfA zur AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer bei Gebäuden möglich ist, war bisher umstritten. Die Finanzverwaltung schloss den Wechsel aus, beanstandete jedoch die Inanspruchnahme von Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung nicht. Im Schrifttum wurde ein späterer Wechsel zur AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer ausgeschlossen. Der Bundesfinanzhof folgte mit seinem Urteil dieser Schrifttumsmeinung.

Zur Begründung führten die Richter aus: Mit der Wahl der degressiven AfA entscheidet sich der Steuerpflichtige bewusst dafür, die Herstellungskosten in 50 Jahresbeträgen geltend zu machen, die der Höhe nach festgelegt sind. Die damit bezweckte Vereinfachung kann jedoch nur eintreten, wenn die Wahl über die gesamte Abschreibungsdauer bindend ist. Deshalb ist die Wahl der degressiven AfA unabänderlich. Nachträgliche Herstellungskosten sind somit bei degressiver AfA zusammen mit den ursprünglichen Anschaffungskosten bzw. Herstellungskosten mit dem für diese geltenden Prozentsatz abzusetzen.

Riester-Rente: Bei Kapitalübertragung auf den Ehepartner keine Rückzahlung der Altersvorsorgezulagen

Stirbt der Steuerpflichtige und wird das Guthaben seines Altersvorsorgevertrags auf einen Altersvorsorgevertrag des Ehegatten übertragen, dürfen die Zulagen nicht zurückgefordert werden.

Hintergrund

Die Ehegatten hatten beide einen Altersvorsorgevertrag im Rahmen der sog. Riester-Rente abgeschlossen. Nach dem Tod des Ehemanns wurde das Guthaben auf den Vertrag der Ehefrau übertragen. Das Finanzamt wurde darüber nicht informiert. Nachdem die Ehefrau einige Jahre später schädlich über ihren Vertrag verfügt hatte, forderte das Finanzamt von ihr nicht nur die eigenen Zulagen, sondern auch die auf den Vertag des verstorbenen Ehemanns gezahlten Zulagen zurück.

Entscheidung

Das Finanzgericht entschied, dass bei einer schädlichen Verfügung über den Altersvorsorgevertrag der überlebende Ehegatte auch die seinem verstorbenen Ehegatten gewährten Zulagen zurückzahlen muss. Die Rückforderung durch das Finanzamt war also in vollem Umfang rechtmäßig.

Zwar lag in der früheren Übertragung des Vertragsguthabens des Ehemanns auf die Klägerin keine schädliche Verfügung. Denn das Gesetz erklärt diese Übertragung für unschädlich, ohne dass weitere Anforderungen hinsichtlich der Erbenstellung des Ehegatten zu prüfen wären. Ob den anderen Erben des Verstorbenen eine Beteiligung an dem Vertragsguthaben zustand, war insoweit ohne Bedeutung.

Jedoch berechtigte die spätere, schädliche Verfügung durch den überlebenden Ehegatten das Finanzamt zur Rückforderung sämtlicher in dem Guthaben enthaltenen Zulagen. Der Rückforderungsanspruch hinsichtlich der dem Verstorbenen gewährten Zulagen war nicht verjährt, weil er ebenfalls erst mit der schädlichen Verfügung des Ehegatten entstanden war.